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Christlieb, Theodor (1833-1889)
Christlicher Bundesbote obituary: 1889 Oct 3 p. 1
Birth date: 1833 Mar 7
text of obituary:
† Professor Dr. Theodor Christlieb.
Nun ist auch Dr. Christlieb schon ins Grab gesunken, der schöne, stattliche Mann, der bei der Versammlung der Evangelischen Allianz in New York durch seinen Vortrag über die besten Methoden in der Bekämpfung des modernen Unglaubens "den Vogel abschoß," wie man zu sagen pflegt. Am 14. August ist er zu Bonn am Rhein einer schweren und schmerzlichen Krankheit erlegen. Alt war der Mann noch nicht, denn er war 1833 am 7. März zu Birkenfeld geboren; aber schon früh war er ergraut. Freunde, die ihn nach jener Allianzversammlung in Bonn besuchten, fanden Ursache, sich darüber zu wundern, wie rasch Dr. Christlieb gealtert sei.
Ich stand eben im Begriff, auch zur Rückkehr in die neue Heimath zu rüsten, als ich die Nachricht von Dr. Christlieb's Hinscheiden erhielt. Ich gestehe, sie kam mir sehr unerwartet und sie — traf mich schwer. Das ahnte auch der Freund, der mir die Todeskunde zukommen ließ. Denn er schrieb: "Dich wird die Nachricht gewiß auch schmerzlich berühren, denn ich weiß, wie er zu Dir stand. So oft er von seiner Reise nach Amerika sprach, sprach er auch in liebevollem Gedenken von Dir!" Der Briefschreiber hatte Recht: auch ich traure um Dr. Christlieb als einen lieben Bruder und Freund. —
Ehe Christlieb nach Amerika kam, kannte ich ihn nur aus seinem Buche über Scotus Erigena, das er auf Dr. Landerers Anregung geschrieben, während er noch als deutscher Pastor zu Islington in London wirkte, und aus seinen apologetischen Vorträgen, die er als Pastor in Friedrichshafen am Bodensee zuerst in St. Gallen gehalten hat. Persönlich rückte ich ihm aber nahe, als er mit Professor Dorner, Leopold Witte, Edmund Spieß, Fritz Fliedner, Dr. Krummacher und andern zur Versammlung der Evangelischen Allianz gekommen war. Sein Vortrag zündete. Dr. Christlieb war der Löwe des Tages. Ein Herr Davis aus New York nahm den Gefeierten als Gast in sein Haus auf, obschon der Tabacksrauch ihm zuwider war und Dr. Christlieb stark rauchte. Herr Davis veranstaltete Christlieb zu Ehren ein Gastmahl, zu dem auch ich geladen war mit dem Ersuchen, über Nach zu bleiben. Die Nacht bleibt mir unvergeßlich. Als wir allein waren, erschloß mir Christlieb sein Leben und sein so reiches Herz. Damals erzählte er mir von dem Knäblein, das in Prinz Eugens Tagen beim Ueberfall des türkischen Lagers im Zelte eines Pascha von seiner circassischen Mutter hülflos zurückgelassen, von einer Bauersfrau gefunden, im Backofen verborgen und an einen frommen Hauptmann aus dem Schwabenlande verkauft worden war, der seiner kinderlosen Frau das Kind als Weihnachtsgeschenk schickte und ihm den frommen Namen Christlieb gab. Das gerettete Kind des Pascha und der Circassierin war Christlieb's Großvater! Wie Moses aus den Fluthen des Nil, war er aus dem Getümmel des Krieges gerettet worden! — Noch vieles Andere hat mir Christlieb in jener Nacht anvertraut, wie ich ihm. Wir wurden Freunde und sind Freunde geblieben.
Für seinen Vortrag zahlte ihm das "Traktathaus" auf meinen Antrag $100 Gold und erhielt dadurch das Recht, ihn in deutscher Sprache zu drucken. Täglich fanden wir, d. h. einige Freunde aus New York, Buffalo, Cleveland, Chicago etc. uns Mittags mit Christlieb und seinen deutschen Gefährten zusammen und munteres Gespräch flog herüber und hinüber. Ein Abend vereinigte die deutschen Delegaten mit mir und meinen Freunden im Seimnargebäude zu Bloomfield, N. J., der den noch lebenden Theilnehmern unvergeßlich sein wird. Beim Scheiden redete Christlieb zu den Studenten unvergeßliche Worte über die Stelle der Schrift: "Und da sie ihre Augen aufhuben, sahen sie Niemand als Jesum allein!" Denkt ihr noch daran, ihr Lieben, die ihr jetzt hin und her zerstreuet wohnet? Gewiß, ihr gedenket der weihevollen Stunde noch heute. War es doch ein Mann voll Geist und Leben, ein Christum innig liebender edler Jünger des Herrn, der damals zu euch sprach!
Mancherlei Anerbietungen wurden Christlieb gemacht, während er hier war. Des Englischen war er als Prediger der deutschen Gemeinde zu Islington vollkommen mächtig geworden. Dort hatte er auch seine Gattin, die Tochter des Missionars Weitbrecht und einer Schottin, kennen gelernt. Ihr Bruder ist, wenn ich nicht irre, der Diakonus Weitbrecht an der Stiftskirche in Stuttgart, der das goldene Büchlein: "Heilig ist die Jugendzeit!" geschrieben hat. Leicht hätte Christlieb eine Professur am Laneseminar, die ihm offerirt ward, bekleiden können. Doch er lehnte Alles ab. "Meine Zeit und Kraft gehört Deutschland an," sagte er mir. "So wenig mich der König von Württemberg, der mich beim Rockknopf faßte, bewegen konnte, sein Hofprediger in Friedrichshafen zu bleiben; ebenso wenig könnt ihr mich bewegen, hier in Amerika zu bleiben. Am Rhein, da wohn' ich unter meinem Volke!" —
Und doch waren die Verhältnisse in Bonn nicht glänzend. Christliebs Gehalt war dürftig, für seine große Familie kaum ausreichend. Seine Kollegen zum Theil anderer Richtung; Dr. Wilhelm Bender sogar ein radikaler Ungläubiger. Die "Studiengenossen" von Hans von Tharau, d. h. des Fräulein von Weling, die in seinem Hause wohnte, brachten ihm viel Verdruß und manche bittere Stunde. Sie sollten Portraits der Bonner Professoren enthalten, wozu Mittheilungen Christliebs im traulichen Familienkreise die Farben geliefert haben sollten. Christlieb war heftig angefeindet, obwohl er — nicht der Verfasser jenes Buches war!
In Bonn hatte Christlieb aber auch viele warme Freunde. Die Kirche war voll, wenn er predigte. Alle Christen des Rheinlandes verehrten ihn, suchten ihn. Als Professor las er über praktische Theologie. Merkwürdiger Weise stand der Lehrer weit hinter dem Prediger zurück. So haben mir fast alle jungen Freunde bezeugt, die ich an ihn gewiesen habe. Auf dem Katheder begeisterte er wenig; auf der Kanzel desto mehr. Viele Christen New Yorks werden sich heute noch der herrlichen Predigt erinnern, welche Christlieb einst zu New York über das Wort: "Ich bin der Herr dein Arzt!" in Dr. Crosby's Kirche gehalten hat. Das was das Zeugniß eines wahrhaftigen Zeugen der Wahrheit.
Ein solcher ist Dr. Christlieb gewesen. Er hatte Christum inning lieb, er betete um das Kommen seines Reiches, er arbeitete darum. Er war ein eifriger Freund der Mission, trug Missionsgeschichte vor, gab mit Dr. Warneck und Dr. Grundemann die "Allgemeine Missionszeitschrift" heraus und schrieb über den Missionsberuf Deutschlands, über den britischen Opiumhandel und dergleichen mehr. Eine Uebersicht über alle Missionsgebiete gab er in Basel.
Nun ist sein Tagewerk schon vollendet und er ist abgerufen. Sein Andenken bleibt Christen theuer. Laßt uns das Ende dieses treuen Knechtes anschauen und ihm nachfolgen!
(Deutscher Volksfrd.)