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Zeller, Reinhard (1826-1891): Difference between revisions

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'''Ein Blick auf den Lebensgang Inspektor Reinhard Zellers in Beuggen.'''
'''Ein Blick auf den Lebensgang Inspektor Reinhard Zellers in Beuggen.'''


Am vorgegangenen Dienstag, am 7. Juli d. J., war es ein besonders ernster Anlaß, der uns dem grünen Rheinufer entlang nach Beuggen führte. Viele zogen mit uns dieselbe Straße, nicht wie gewöhnlich um diese Jahreszeit zum schönen, lieblichen Jahresfest, sondern zur Begräbniß des lieben seligen Inspektors. Gar lebhaft dachten wur daran, wie wir vor 31 Jahren an einem herrlichen Maitag auch in sehr großer Zahl hinausgezogen waren, um die Hülle des eintschlafenen Hausvaters der Anstalt, des alten Inspectors Zeller, zu ihrer letzten Ruhestätte zu begleiten. Derselbe war nur acht Tage krank gewesen, um dann, wie er es sich stets gewünscht hatte, in der Arbeit stehend zu sterben. Sein Sohn Reinhard, der schon zehn Jahre lang sein Vicar gewesen, wurde nach seinem Heimgang 1860 Inspektor der Anstalt. Er hatte nicht die kräftige Gesundheit des Vaters geerbt, sondern war frühe schon mit Leiden und Schmerzen bekannt geworden. Aber in seinem Leiden hat er seinen Heiland verherrlicht und er könnte es jetzt noch in viel höherem Maß als während seines Erdenlebens bezeugen, daß "dieser Zeit Leiden nicht werth sind die Herrlichkeit, die an uns soll geoffenbaret werden".
Am vorgegangenen Dienstag, am 7. Juli d. J., war es ein besonders ernster Anlaß, der uns dem grünen Rheinufer entlang nach Beuggen führte. Viele zogen mit uns dieselbe Straße, nicht wie gewöhnlich um diese Jahreszeit zum schönen, lieblichen Jahresfest, sondern zur Begräbniß des lieben seligen Inspektors. Gar lebhaft dachten wir daran, wie wir vor 31 Jahren an einem herrlichen Maitag auch in sehr großer Zahl hinausgezogen waren, um die Hülle des entschlafenen Hausvaters der Anstalt, des alten Inspectors Zeller, zu ihrer letzten Ruhestätte zu begleiten. Derselbe war nur acht Tage krank gewesen, um dann, wie er es sich stets gewünscht hatte, in der Arbeit stehend zu sterben. Sein Sohn Reinhard, der schon zehn Jahre lang sein Vicar gewesen, wurde nach seinem Heimgang 1860 Inspektor der Anstalt. Er hatte nicht die kräftige Gesundheit des Vaters geerbt, sondern war frühe schon mit Leiden und Schmerzen bekannt geworden. Aber in seinem Leiden hat er seinen Heiland verherrlicht und er könnte es jetzt noch in viel höherem Maß als während seines Erdenlebens bezeugen, daß "dieser Zeit Leiden nicht werth sind die Herrlichkeit, die an uns soll geoffenbaret werden".


Am 21. März 1826 schrieb der Vater Christian Heinrich Zeller insein Tagebuch: Heute Morgen ist uns ein neuntes Kind, ein Knäblein geboren worden. Der Vater schließt ein Gebet daran und bittet den Herrn: Heilige das Kindlein in deiner Wahrheit, dein Wort ist die Wahrheit. Am 2. April wurde dasselbe getauft und erhielt den Namen Reinhard. Der herr hat die Gebete, die der Vater bei seiner Geburt zu seinem himmlischen Vater schickte, erhört. Reinhard war das schwächste unter seinen Geschwistern, hatte schon als Kind zwei Mal eine Lungenentzündung und schien ein zu zartes Pflänzlein zu ein für diese rauhe Erde. Als der Arzt ihn nach einem Besuch verließ, safte er im Nebenzimmer zur Mutter: "Ihr Söhnlein ist hektisch beanlagt." Dies Wort hörte der kleine Patient und merkte sich den Ausdruck. Einige Tage später sagte er: "Mutter, was sind hektische Anlagen?" Diese antwortete: die Schwindsucht. Im Augenblick dachte sie nicht daran, warum ihr Kind sie das frage, konnte ihn aber damit trösten, daß er in ''Gottes'' Hand sei. Doch beschäftigten ihn, da er auch mit einem Herzleiden behaftet war, von nun an ernste Todesgedanken und einstweilen konnte er nur mit Grauen an den Tod denken; aber der Herr wollte nicht den Tod, sondern daß er sich bekehre und lebe. Er wollte ihn im frühen Leiden schon zubereiten für die spätere Trübsalsschule; denn was man als Kind lernt, darin wird man ein Meister.
Am 21. März 1826 schrieb der Vater Christian Heinrich Zeller in sein Tagebuch: Heute Morgen ist uns ein neuntes Kind, ein Knäblein geboren worden. Der Vater schließt ein Gebet daran und bittet den Herrn: Heilige das Kindlein in deiner Wahrheit, dein Wort ist die Wahrheit. Am 2. April wurde dasselbe getauft und erhielt den Namen Reinhard. Der Herr hat die Gebete, die der Vater bei seiner Geburt zu seinem himmlischen Vater schickte, erhört. Reinhard war das schwächste unter seinen Geschwistern, hatte schon als Kind zwei Mal eine Lungenentzündung und schien ein zu zartes Pflänzlein zu sein für diese rauhe Erde. Als der Arzt ihn nach einem Besuch verließ, sagte er im Nebenzimmer zur Mutter: "Ihr Söhnlein ist hektisch beanlagt." Dies Wort hörte der kleine Patient und merkte sich den Ausdruck. Einige Tage später sagte er: "Mutter, was sind hektische Anlagen?" Diese antwortete: die Schwindsucht. Im Augenblick dachte sie nicht daran, warum ihr Kind sie das frage, konnte ihn aber damit trösten, daß er in ''Gottes'' Hand sei. Doch beschäftigten ihn, da er auch mit einem Herzleiden behaftet war, von nun an ernste Todesgedanken und einstweilen konnte er nur mit Grauen an den Tod denken; aber der Herr wollte nicht den Tod, sondern daß er sich bekehre und lebe. Er wollte ihn im frühen Leiden schon zubereiten für die spätere Trübsalsschule; denn was man als Kind lernt, darin wird man ein Meister.


Unsere Trübsale sind gnädige Heimsuchungen Gottes, und so wurde auch das Herz des Knabens durch vielfache Krankheit zum Herrn gezogen. Die Mutter bewies diesem ihrem schwächlichsten Kinde die zärtliche Liebe und größte Sorgfalt, wie es denn der Mutterliebe eigen ist, sich des schächsten am meisten anzunehmen; sie betete stets mit ihm. Ganz besonders war es die Bitte: "Herr Jesu, gieb ihm ein gehorsames, dankbares, demüthiges und zur Seligkeit weises Herz." — Ein Aufenthalt im Berner Oberland diente ihm zur Stärkung, und er fand seine Gesundheit wieder. Fünfzehn Jahre durfte Reinhard im elterlichen Hause zubringen, dann galt es von Beuggen zu scheiden. Professor Thiersch, der in Erlangen Professor war, erbot sich, seinen jungen Schwager in sein Haus aufzunehmen, was gerne angenommen wurde. Es war dem Knaben schwer, allein diese weite Reise anzutreten, doch gewann er durch sein kindliches, einfaches Benehmen bald die Herzen der Mitreisenden im Postwagen. Zum Heimweh ließ ihn aber seine Schwester in Erlangen nicht kommen; denn Frau Thiersch bewies ihm nicht nur schwesterliche, sondern mütterliche Liebe.
Unsere Trübsale sind gnädige Heimsuchungen Gottes, und so wurde auch das Herz des Knabens durch vielfache Krankheit zum Herrn gezogen. Die Mutter bewies diesem ihrem schwächlichsten Kinde die zärtliche Liebe und größte Sorgfalt, wie es denn der Mutterliebe eigen ist, sich des schwächsten am meisten anzunehmen; sie betete stets mit ihm. Ganz besonders war es die Bitte: "Herr Jesu, gieb ihm ein gehorsames, dankbares, demüthiges und zur Seligkeit weises Herz." — Ein Aufenthalt im Berner Oberland diente ihm zur Stärkung, und er fand seine Gesundheit wieder. Fünfzehn Jahre durfte Reinhard im elterlichen Hause zubringen, dann galt es von Beuggen zu scheiden. Professor Thiersch, der in Erlangen Professor war, erbot sich, seinen jungen Schwager in sein Haus aufzunehmen, was gerne angenommen wurde. Es war dem Knaben schwer, allein diese weite Reise anzutreten, doch gewann er durch sein kindliches, einfaches Benehmen bald die Herzen der Mitreisenden im Postwagen. Zum Heimweh ließ ihn aber seine Schwester in Erlangen nicht kommen; denn Frau Thiersch bewies ihm nicht nur schwesterliche, sondern mütterliche Liebe.


In der Schule warteten sein allerlei Demüthigungen, da die Schulbildung von Beuggen, besonders in den Sprachen, für Erlangen nicht ganz genügte. Er besuchte den Confirmandenunterricht in München und wurde mit sieben königlichen Pagen confirmirt. Ein von ihn sehr verehrter und geliebter Lehrer war Professor Vilmar, der verstand, Gottesfurcht und Gottesliebe tief in sein Herz zu legen. Vilmar's Wunsch und Verlangen war, aus seinen Schülern Christen zu machen, und so hielt er auch jedes Mal am Schluß der Schulwoche mit ihnen eine Erbauungsstunde, die er mit einem innigen Herzensgebet schloß. Dieser Einfluß, vereint mit dem seines Schwater's Thiersch, wurde Reinhard zu reichem Segen. Doch auch den Gottsuchenden und Gottliebenden bleiben Irrwege nicht erspart, aber sie finden sich aus denselben wieder zurecht und oft sind die Irrwege nur Umwege, die si am Ende doch an's Ziel führen. Einem glänzend begabten Gymnasiasten, Cäsar Hildebrandt, gelang es, den schüchternen Reinhard in seine geheimen politischen Vereine zu ziehen. Es kam so weit, daß er bei seinem Vater in Beuggen allen ernstes anfrug: ob er dürfe mitziehen in den Freschaarenkrieg. Er hatte das Herz voll von Weltlust und Weltliebe, aber der Wunsch des Vater's war ihm Befehl und sein Lebensgang nahm eine völlig andre Wendung: er entschloß sich, Theologie zu studieren. Reinhard war nach Hause zurückgekehrt und sollte nun mehr die Universität in Basel besuchen. Bei Hrn. Spittler im Fälkli hatte der Vater im Quartier bestellt, was den Jüngling nichts weniger als mit Freude erfüllte. Er kam sich wie ein Löwe in einem Käfig vor. Ehe er vom Vater in Beuggen Abschied nahm, mußte er ihm versprechen, täglich in Gottes Wort zu lesen und ke beten. Das hat er auch aus Gehorsam gethan und es wurde ihm so zum Segen, daß er ein neuer Mensch wurde. Das Gebet, das seine Mutter in den Kinderjahren mit ihm betete, wurde zu dem seinigen: "Herr Jesu, gieb mir ein gehorsames, dankbares, demüthiges Herz." Ja er war ein ernstlich suchender Mensch. Einst lag er auch im Fälkli in ernstreichem Gebet auf den Knieen und schlief darüber ein; erst nach mehreren Stunden erwachte er, ganz erkältet, mit Schmerzen in den Knieen.
In der Schule warteten sein allerlei Demüthigungen, da die Schulbildung von Beuggen, besonders in den Sprachen, für Erlangen nicht ganz genügte. Er besuchte den Confirmandenunterricht in München und wurde mit sieben königlichen Pagen confirmirt. Ein von ihn sehr verehrter und geliebter Lehrer war Professor Vilmar, der verstand, Gottesfurcht und Gottesliebe tief in sein Herz zu legen. Vilmar's Wunsch und Verlangen war, aus seinen Schülern Christen zu machen, und so hielt er auch jedes Mal am Schluß der Schulwoche mit ihnen eine Erbauungsstunde, die er mit einem innigen Herzensgebet schloß. Dieser Einfluß, vereint mit dem seines Schwager's Thiersch, wurde Reinhard zu reichem Segen. Doch auch den Gottsuchenden und Gottliebenden bleiben Irrwege nicht erspart, aber sie finden sich aus denselben wieder zurecht und oft sind die Irrwege nur Umwege, die sie am Ende doch an's Ziel führen. Einem glänzend begabten Gymnasiasten, Cäsar Hildebrandt, gelang es, den schüchternen Reinhard in seine geheimen politischen Vereine zu ziehen. Es kam so weit, daß er bei seinem Vater in Beuggen allen ernstes anfrug: ob er dürfe mitziehen in den Freischaarenkrieg. Er hatte das Herz voll von Weltlust und Weltliebe, aber der Wunsch des Vater's war ihm Befehl und sein Lebensgang nahm eine völlig andre Wendung: er entschloß sich, Theologie zu studieren. Reinhard war nach Hause zurückgekehrt und sollte nun mehr die Universität in Basel besuchen. Bei Hrn. Spittler im Fälkli hatte der Vater im Quartier bestellt, was den Jüngling nichts weniger als mit Freude erfüllte. Er kam sich wie ein Löwe in einem Käfig vor. Ehe er vom Vater in Beuggen Abschied nahm, mußte er ihm versprechen, täglich in Gottes Wort zu lesen und zu beten. Das hat er auch aus Gehorsam gethan und es wurde ihm so zum Segen, daß er ein neuer Mensch wurde. Das Gebet, das seine Mutter in den Kinderjahren mit ihm betete, wurde zu dem seinigen: "Herr Jesu, gieb mir ein gehorsames, dankbares, demüthiges Herz." Ja er war ein ernstlich suchender Mensch. Einst lag er auch im Fälkli in ernstreichem Gebet auf den Knieen und schlief darüber ein; erst nach mehreren Stunden erwachte er, ganz erkältet, mit Schmerzen in den Knieen.


Nachdem er sein erstes Studienjahre in Basel vollendet, kam er nochmals zum Vater, um ihn zu bitten, ihm das Studium der Theologie zu erlassen. Aber der Vater blieb fest und rieth ihm noch ein Vierteljahr lang zuzuwarten, nach Tübingen zu reisen und den dortigen Professor Beck zu hören. Der Sohn gehorchte und fand Aufnahme in Beck's Haus. Er fand dessen Lehre so übereinstimmend mit der heiligen Schrift, daß er fortan mit Freuden studirte und zwei Jahre in Tübingen blieb. Am 13. September 1850 kehrte er für bleibend ins Elternhaus zurück. Als er Beuggen von Weitem ansichtig wurde, fiel er voll von Dankbarkeit auf seine Kniee und rief aus: "Herr ich bin zu gering aller Barmherzigkeit und Treue, die du an mir gethan hast."
Nachdem er sein erstes Studienjahre in Basel vollendet, kam er nochmals zum Vater, um ihn zu bitten, ihm das Studium der Theologie zu erlassen. Aber der Vater blieb fest und rieth ihm noch ein Vierteljahr lang zuzuwarten, nach Tübingen zu reisen und den dortigen Professor Beck zu hören. Der Sohn gehorchte und fand Aufnahme in Beck's Haus. Er fand dessen Lehre so übereinstimmend mit der heiligen Schrift, daß er fortan mit Freuden studirte und zwei Jahre in Tübingen blieb. Am 13. September 1850 kehrte er für bleibend ins Elternhaus zurück. Als er Beuggen von Weitem ansichtig wurde, fiel er voll von Dankbarkeit auf seine Kniee und rief aus: "Herr ich bin zu gering aller Barmherzigkeit und Treue, die du an mir gethan hast."


Von 1850 bis 1860 war unser Heimgegangener die rechte Hand des Vaters und stand in einem gar vertraulichen Verhältniß zur Mutter, mit welcher er nicht nur durch innigste Geistesverwandtschaft verbunden war. Die tiefe Demuth beider half mit, daß dasselbe nie gestört wurde. Im Jahre 1855 bis 1860 traten auch noch die beiden andern Brüder in die Anstalt ein. 1858 ging die Mutter heim, nachdem sie noch furchtbare Leiden hatte durchmachen müssen. Auch das hatte der Sohn mit der Mutter gemein. Zwei Jahre später folgte ihr der Vater nach, der während 40 Jahren der Anstalt vorgestanden hatte. Der Sohn trat an seine Stelle und centnerschwer legte sich ihm das ganzze Haus auf's Herz. Aber den Demüthigen giebt Gott Gnade. Er selbst hat es bezeugt, wie der Herr ihm, trotz aller Anfänge von Muthlosigkeit und Verzweiflung, durchgeholfen hat. Am 16. Januar 1862 verheiratete er sich mit Jungfrau Elise Bohn aus Mühlhausen, welcher Ehe drei Söhne und zwei Töchter entsproßten.
Von 1850 bis 1860 war unser Heimgegangener die rechte Hand des Vaters und stand in einem gar vertraulichen Verhältniß zur Mutter, mit welcher er nicht nur durch innigste Geistesverwandtschaft verbunden war. Die tiefe Demuth beider half mit, daß dasselbe nie gestört wurde. Im Jahre 1855 bis 1860 traten auch noch die beiden andern Brüder in die Anstalt ein. 1858 ging die Mutter heim, nachdem sie noch furchtbare Leiden hatte durchmachen müssen. Auch das hatte der Sohn mit der Mutter gemein. Zwei Jahre später folgte ihr der Vater nach, der während 40 Jahren der Anstalt vorgestanden hatte. Der Sohn trat an seine Stelle und centnerschwer legte sich ihm das ganze Haus auf's Herz. Aber den Demüthigen giebt Gott Gnade. Er selbst hat es bezeugt, wie der Herr ihm, trotz aller Anfänge von Muthlosigkeit und Verzweiflung, durchgeholfen hat. Am 16. Januar 1862 verheiratete er sich mit Jungfrau Elise Bohn aus Mühlhausen, welcher Ehe drei Söhne und zwei Töchter entsproßten.


Im Jahre 1863 begann die Krankheit mit schrecklichen Schmerzen in der Fußsohle. Um Mitternacht erwachte er einmal damit und stand auf, denn er konnte es im Bett nicht aushalten, lief im Zimmer herum bis 3 Uhr und legte sich dann wieder, um nach wenig Stunden seine volle Tagesarbiet zu beginnen. Als er eines Tages einen Arzt in Basel consultirte, sagte ihm dieser: Sie haben die Gicht; schlechter kann es noch werden, besser nicht. Er konnte sich fast nicht hineinfinden, daß er diese Kette bis an sein Ende tragen sollte. Die Krankheit war ihm eben doppelt schmerzlich, weil sie ihn hinderte in der Aufsicht der Anstalt. Und dennoch darf man sagen, daß in der Leitung derselben dadurch nichts versäumt wurde; denn der Inspektor hatte zwei Zügel in der Hand, die er fleißig brauchte: das Wort Gottes und das Gebet. Je mehr seine eigenen Hände und Füße erlahmten, desto mehr nahm er seine Zuflucht zum Gebet. Und es blieb ihm seine große Liebe, dazu braucht man weder Hände noch Füße, noch Augen. Weil er selbst im Umgang mit seinem Heiland so viel Liebe einnahm, hatte er auch so viel Liebe auszugeben. Wie wird er sich nun drüben freuen, so manche Seele zu finden, denen er den Weg zum Leben hat zeigen dürfen.
Im Jahre 1863 begann die Krankheit mit schrecklichen Schmerzen in der Fußsohle. Um Mitternacht erwachte er einmal damit und stand auf, denn er konnte es im Bett nicht aushalten, lief im Zimmer herum bis 3 Uhr und legte sich dann wieder, um nach wenig Stunden seine volle Tagesarbeit zu beginnen. Als er eines Tages einen Arzt in Basel consultirte, sagte ihm dieser: Sie haben die Gicht; schlechter kann es noch werden, besser nicht. Er konnte sich fast nicht hineinfinden, daß er diese Kette bis an sein Ende tragen sollte. Die Krankheit war ihm eben doppelt schmerzlich, weil sie ihn hinderte in der Aufsicht der Anstalt. Und dennoch darf man sagen, daß in der Leitung derselben dadurch nichts versäumt wurde; denn der Inspektor hatte zwei Zügel in der Hand, die er fleißig brauchte: das Wort Gottes und das Gebet. Je mehr seine eigenen Hände und Füße erlahmten, desto mehr nahm er seine Zuflucht zum Gebet. Und es blieb ihm seine große Liebe, dazu braucht man weder Hände noch Füße, noch Augen. Weil er selbst im Umgang mit seinem Heiland so viel Liebe einnahm, hatte er auch so viel Liebe auszugeben. Wie wird er sich nun drüben freuen, so manche Seele zu finden, denen er den Weg zum Leben hat zeigen dürfen.


Am Abend seines Lebens trafen ihn schwere innere Erlebnisse, die ihn noch mehr darnieder beugten, als die äußeren Schmerzen. Am Abend vor Weihnachten hatte er einen leichten Anfall, welcher  sich in viel stärkerem Maß am 25. Februar wiederholte. Sprach- und Denkvermögen nahmen in letzterer Zeit merklich ab. Das Schmerzlichste war ihm die Wahrnehmung, daß er nicht mehr zusammenhängend beten konnte; doch sagte er zum Heiland: "Wenn Du mir auch das nehmen willst, so bin ich doch zufrieden, wie Du es machst!" Als ihn sein ältester Sohn kurz vor seinem Ende fragte: "Kannst du dich, Vater, auch noch der Gemeinschaft deines Heilandes freuen?" antwortete er: "Ach ja, das wäre traurig, wenn ich das nicht könnte." — Als wir den Tod herannahen sahen, sagten wir ihm die Worte: "Wenn ich einmal soll scheiden, so scheide nicht von mir," und als wir das letzte Wort sprachen: "Wer so stirbt, der stirbt," that er den letzten Athmenzug. —
Am Abend seines Lebens trafen ihn schwere innere Erlebnisse, die ihn noch mehr darnieder beugten, als die äußeren Schmerzen. Am Abend vor Weihnachten hatte er einen leichten Anfall, welcher  sich in viel stärkerem Maß am 25. Februar wiederholte. Sprach- und Denkvermögen nahmen in letzterer Zeit merklich ab. Das Schmerzlichste war ihm die Wahrnehmung, daß er nicht mehr zusammenhängend beten konnte; doch sagte er zum Heiland: "Wenn Du mir auch das nehmen willst, so bin ich doch zufrieden, wie Du es machst!" Als ihn sein ältester Sohn kurz vor seinem Ende fragte: "Kannst du dich, Vater, auch noch der Gemeinschaft deines Heilandes freuen?" antwortete er: "Ach ja, das wäre traurig, wenn ich das nicht könnte." — Als wir den Tod herannahen sahen, sagten wir ihm die Worte: "Wenn ich einmal soll scheiden, so scheide nicht von mir," und als wir das letzte Wort sprachen: "Wer so stirbt, der stirbt," that er den letzten Athmenzug. —


***


Es war ein ergreifender Augenblick,
 
Es war ein ergreifender Augenblick, als die Schaar der Freunde von Basel in Beuggen anlangte und im Hof den mit Blumen bekränzten Sarg mit der sterblichen Hülle des theuren Entschlafenen, umgeben von der trauernden Wittwe, den eigenen Kindern und Verwandten, nebst der großen Anstalts-Familie, stehen sah. Die letzten Worte des Gesangs der Kinder lauteten: "Wer so stirbt, der stirbt wohl." Und nun war er gekommen, der so wehmüthige und so feierliche Moment, da der Zug sich in Bewegung setzte, da es auch hieß: "seine Stätte kennt er nicht mehr". Wie oft hatte der Selige hier vor dem Haus den Spielen der Kinder zugeschaut und sich wie ein Kind mit ihnen gefreut. Jetzt trugen die Zöglinge den lieber Inspektor und Hausvater zu seiner letzten Ruhestätte; die Anstaltskinder, mit Kreuzen von Lilien und weißen Rosen und Kränzen, gingen hinter dem Sarge her. Ihnen folgten die Verwandten und Freunde nach dem etwas am Hügel gelegenen Friedhof. Hier betete der älteste Sohn des Vollendeten und es folgte eine herzliche, treffliche Ansprache des Präsidenten des Komites, Pfarrer Lichtenhahn aus Basel:
 
"Wir kamen, liebe Beuggener Familie, dies Mal nicht wie sonst um diese Zeit, mit freudigem Herzen, mit euch Jahresfest zu feiern, sondern um die irdischen Ueberreste eures geistlichen Vaters in den Schooß der Erde zu legen. Im Herzen können wir nicht anders als dem Herrn danken, daß er bei ihm ein gnädiges Ende der 27jährigen Leiden gemacht hat. Wer es durch eigene Anschauung gekannt, weiß was das sagen will und freut sich mit dem Heimgegangenen, daß er nun sagen darf: "Ich habe einen guten Kampf gekämpft, ich habe den Lauf vollendet, ich habe Glauben gehalten, hinfort ist mir beigelegt die Krone der Gerechtigkeit."
 
Wenn ich im Namen des Komites und der Freunde noch ein Wort über den Heimgegangenen sage, so darf es — nach seinem eigenen Sinn — kein Wort des Menschenlobes sein. Es bedarf es auch nicht; ist doch sein Name mit unverwüstlichem Griffel in die Herzen von Hunderten, die ihn lieb haben, eingeschrieben. "Nur aus Gottes Gnade bin ich was ich bin," das war der Ausdruck seines Wesens und Lebens. Man durfte bei ihm wirklich sehen, wie: ob auch der äußere Mensch sich von Tag zu Tag mehr verzehrte, der inwendige doch von Tag zu Tag sich erneuerte, also daß das Bild des göttlichen Meisters im zerbrochenen und zerschlagenen Körper immer reiner zum Vorschein kam.
 
"Gedenket an eure Lehreer, die euch das Wort Gottes gesagt haben; welcher Ende schauet an und folget ihrem Glauben nach," so ruft uns die Schrift an dieser Stätte zu. Ja, was war er für ein treuer Lehrer für euch, liebe Kinder! Wenn auch gefesselt an seinem Leidensstuhl, wie gerne und freudig ist er immer unter euch gewesen, und wenn Eines oder das Andere an seinem Geburtstag zu ihm kam, wie hat er so leutselig und doch ernst ihm an's Herz geredet! Und was haben auch die Lehrzöglinge und die früheren Beuggener Zöglinge von diesem Lehrer, der ihnen Gottes Wort unvergeßlich in's Herz prägte, gehabt! Ja, alle ihr Gäste und Freunde der Anstalt, ihr müsset ihm Alle das Zeugniß geben, daß ihr in ihm einen Mann gesehen, in dem das Wort Gottes eine Gestalt gewonnen hatte.
 
So nehmet denn sein theures Bild mit euch heim, gedenket seiner und schauet sein Ende an. Und welch ein Ende! Ein 27 Jahre lang andauerndes Sterben, und doch welch eine Kraft, welch ein Trost in der Erde Noth und Jammer. Da hat sich eine Gotteskraft geoffenbart, die auch einen armen Geschlagenen hat fröhlich machen können. Ja, das Christenthum ist etwas, das uns glücklich und selig macht. In Jesu Armen aus dieser Welt scheiden können, das ist ein schönes Ende.
 
Und nun senken wir die sterblichen Hülle unsers Bruders hinein in die stille Gruft, in der gewissen Zuversicht, daß dies Verwesliche wird anziehen das Unverwesliche und dies Sterbliche wird anziehen die Unsterblichkeit. Dann wird erfüllt werden das Wort, das geschrieben steht: Der Tod ist verschlungen in den Sieg. Tod, wo ist dein Stachel, Hölle, wo ist dein Sieg? Gott aber sei Dank, der uns den Sieg gegeben hat durch unsern Herrn Jesum Christum.
 
(Christl. Volksbote.)
 
 
p. 4 of same issue:
 
Nebst der Mittheilung des jüngst heimgegangenen Missions-Gehülfen A. E. Sudermann, bringt diese Nummer auch den Heimgang des Inspektors ''Reinhard Zeller'' von Beuggen, da die in großem Segen stehende Beuggener Lehranstalt manchen von unsern Lesern wohl bekannt ist und einige unserer Brüder da ausgebildet wurden.
 
 




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Latest revision as of 11:18, 8 December 2014

Christlicher Bundesbote obituary: 1891 Sep 10 p. 2

Birth date: 1826 Mar 21

text of obituary:

Ein Blick auf den Lebensgang Inspektor Reinhard Zellers in Beuggen.

Am vorgegangenen Dienstag, am 7. Juli d. J., war es ein besonders ernster Anlaß, der uns dem grünen Rheinufer entlang nach Beuggen führte. Viele zogen mit uns dieselbe Straße, nicht wie gewöhnlich um diese Jahreszeit zum schönen, lieblichen Jahresfest, sondern zur Begräbniß des lieben seligen Inspektors. Gar lebhaft dachten wir daran, wie wir vor 31 Jahren an einem herrlichen Maitag auch in sehr großer Zahl hinausgezogen waren, um die Hülle des entschlafenen Hausvaters der Anstalt, des alten Inspectors Zeller, zu ihrer letzten Ruhestätte zu begleiten. Derselbe war nur acht Tage krank gewesen, um dann, wie er es sich stets gewünscht hatte, in der Arbeit stehend zu sterben. Sein Sohn Reinhard, der schon zehn Jahre lang sein Vicar gewesen, wurde nach seinem Heimgang 1860 Inspektor der Anstalt. Er hatte nicht die kräftige Gesundheit des Vaters geerbt, sondern war frühe schon mit Leiden und Schmerzen bekannt geworden. Aber in seinem Leiden hat er seinen Heiland verherrlicht und er könnte es jetzt noch in viel höherem Maß als während seines Erdenlebens bezeugen, daß "dieser Zeit Leiden nicht werth sind die Herrlichkeit, die an uns soll geoffenbaret werden".

Am 21. März 1826 schrieb der Vater Christian Heinrich Zeller in sein Tagebuch: Heute Morgen ist uns ein neuntes Kind, ein Knäblein geboren worden. Der Vater schließt ein Gebet daran und bittet den Herrn: Heilige das Kindlein in deiner Wahrheit, dein Wort ist die Wahrheit. Am 2. April wurde dasselbe getauft und erhielt den Namen Reinhard. Der Herr hat die Gebete, die der Vater bei seiner Geburt zu seinem himmlischen Vater schickte, erhört. Reinhard war das schwächste unter seinen Geschwistern, hatte schon als Kind zwei Mal eine Lungenentzündung und schien ein zu zartes Pflänzlein zu sein für diese rauhe Erde. Als der Arzt ihn nach einem Besuch verließ, sagte er im Nebenzimmer zur Mutter: "Ihr Söhnlein ist hektisch beanlagt." Dies Wort hörte der kleine Patient und merkte sich den Ausdruck. Einige Tage später sagte er: "Mutter, was sind hektische Anlagen?" Diese antwortete: die Schwindsucht. Im Augenblick dachte sie nicht daran, warum ihr Kind sie das frage, konnte ihn aber damit trösten, daß er in Gottes Hand sei. Doch beschäftigten ihn, da er auch mit einem Herzleiden behaftet war, von nun an ernste Todesgedanken und einstweilen konnte er nur mit Grauen an den Tod denken; aber der Herr wollte nicht den Tod, sondern daß er sich bekehre und lebe. Er wollte ihn im frühen Leiden schon zubereiten für die spätere Trübsalsschule; denn was man als Kind lernt, darin wird man ein Meister.

Unsere Trübsale sind gnädige Heimsuchungen Gottes, und so wurde auch das Herz des Knabens durch vielfache Krankheit zum Herrn gezogen. Die Mutter bewies diesem ihrem schwächlichsten Kinde die zärtliche Liebe und größte Sorgfalt, wie es denn der Mutterliebe eigen ist, sich des schwächsten am meisten anzunehmen; sie betete stets mit ihm. Ganz besonders war es die Bitte: "Herr Jesu, gieb ihm ein gehorsames, dankbares, demüthiges und zur Seligkeit weises Herz." — Ein Aufenthalt im Berner Oberland diente ihm zur Stärkung, und er fand seine Gesundheit wieder. Fünfzehn Jahre durfte Reinhard im elterlichen Hause zubringen, dann galt es von Beuggen zu scheiden. Professor Thiersch, der in Erlangen Professor war, erbot sich, seinen jungen Schwager in sein Haus aufzunehmen, was gerne angenommen wurde. Es war dem Knaben schwer, allein diese weite Reise anzutreten, doch gewann er durch sein kindliches, einfaches Benehmen bald die Herzen der Mitreisenden im Postwagen. Zum Heimweh ließ ihn aber seine Schwester in Erlangen nicht kommen; denn Frau Thiersch bewies ihm nicht nur schwesterliche, sondern mütterliche Liebe.

In der Schule warteten sein allerlei Demüthigungen, da die Schulbildung von Beuggen, besonders in den Sprachen, für Erlangen nicht ganz genügte. Er besuchte den Confirmandenunterricht in München und wurde mit sieben königlichen Pagen confirmirt. Ein von ihn sehr verehrter und geliebter Lehrer war Professor Vilmar, der verstand, Gottesfurcht und Gottesliebe tief in sein Herz zu legen. Vilmar's Wunsch und Verlangen war, aus seinen Schülern Christen zu machen, und so hielt er auch jedes Mal am Schluß der Schulwoche mit ihnen eine Erbauungsstunde, die er mit einem innigen Herzensgebet schloß. Dieser Einfluß, vereint mit dem seines Schwager's Thiersch, wurde Reinhard zu reichem Segen. Doch auch den Gottsuchenden und Gottliebenden bleiben Irrwege nicht erspart, aber sie finden sich aus denselben wieder zurecht und oft sind die Irrwege nur Umwege, die sie am Ende doch an's Ziel führen. Einem glänzend begabten Gymnasiasten, Cäsar Hildebrandt, gelang es, den schüchternen Reinhard in seine geheimen politischen Vereine zu ziehen. Es kam so weit, daß er bei seinem Vater in Beuggen allen ernstes anfrug: ob er dürfe mitziehen in den Freischaarenkrieg. Er hatte das Herz voll von Weltlust und Weltliebe, aber der Wunsch des Vater's war ihm Befehl und sein Lebensgang nahm eine völlig andre Wendung: er entschloß sich, Theologie zu studieren. Reinhard war nach Hause zurückgekehrt und sollte nun mehr die Universität in Basel besuchen. Bei Hrn. Spittler im Fälkli hatte der Vater im Quartier bestellt, was den Jüngling nichts weniger als mit Freude erfüllte. Er kam sich wie ein Löwe in einem Käfig vor. Ehe er vom Vater in Beuggen Abschied nahm, mußte er ihm versprechen, täglich in Gottes Wort zu lesen und zu beten. Das hat er auch aus Gehorsam gethan und es wurde ihm so zum Segen, daß er ein neuer Mensch wurde. Das Gebet, das seine Mutter in den Kinderjahren mit ihm betete, wurde zu dem seinigen: "Herr Jesu, gieb mir ein gehorsames, dankbares, demüthiges Herz." Ja er war ein ernstlich suchender Mensch. Einst lag er auch im Fälkli in ernstreichem Gebet auf den Knieen und schlief darüber ein; erst nach mehreren Stunden erwachte er, ganz erkältet, mit Schmerzen in den Knieen.

Nachdem er sein erstes Studienjahre in Basel vollendet, kam er nochmals zum Vater, um ihn zu bitten, ihm das Studium der Theologie zu erlassen. Aber der Vater blieb fest und rieth ihm noch ein Vierteljahr lang zuzuwarten, nach Tübingen zu reisen und den dortigen Professor Beck zu hören. Der Sohn gehorchte und fand Aufnahme in Beck's Haus. Er fand dessen Lehre so übereinstimmend mit der heiligen Schrift, daß er fortan mit Freuden studirte und zwei Jahre in Tübingen blieb. Am 13. September 1850 kehrte er für bleibend ins Elternhaus zurück. Als er Beuggen von Weitem ansichtig wurde, fiel er voll von Dankbarkeit auf seine Kniee und rief aus: "Herr ich bin zu gering aller Barmherzigkeit und Treue, die du an mir gethan hast."

Von 1850 bis 1860 war unser Heimgegangener die rechte Hand des Vaters und stand in einem gar vertraulichen Verhältniß zur Mutter, mit welcher er nicht nur durch innigste Geistesverwandtschaft verbunden war. Die tiefe Demuth beider half mit, daß dasselbe nie gestört wurde. Im Jahre 1855 bis 1860 traten auch noch die beiden andern Brüder in die Anstalt ein. 1858 ging die Mutter heim, nachdem sie noch furchtbare Leiden hatte durchmachen müssen. Auch das hatte der Sohn mit der Mutter gemein. Zwei Jahre später folgte ihr der Vater nach, der während 40 Jahren der Anstalt vorgestanden hatte. Der Sohn trat an seine Stelle und centnerschwer legte sich ihm das ganze Haus auf's Herz. Aber den Demüthigen giebt Gott Gnade. Er selbst hat es bezeugt, wie der Herr ihm, trotz aller Anfänge von Muthlosigkeit und Verzweiflung, durchgeholfen hat. Am 16. Januar 1862 verheiratete er sich mit Jungfrau Elise Bohn aus Mühlhausen, welcher Ehe drei Söhne und zwei Töchter entsproßten.

Im Jahre 1863 begann die Krankheit mit schrecklichen Schmerzen in der Fußsohle. Um Mitternacht erwachte er einmal damit und stand auf, denn er konnte es im Bett nicht aushalten, lief im Zimmer herum bis 3 Uhr und legte sich dann wieder, um nach wenig Stunden seine volle Tagesarbeit zu beginnen. Als er eines Tages einen Arzt in Basel consultirte, sagte ihm dieser: Sie haben die Gicht; schlechter kann es noch werden, besser nicht. Er konnte sich fast nicht hineinfinden, daß er diese Kette bis an sein Ende tragen sollte. Die Krankheit war ihm eben doppelt schmerzlich, weil sie ihn hinderte in der Aufsicht der Anstalt. Und dennoch darf man sagen, daß in der Leitung derselben dadurch nichts versäumt wurde; denn der Inspektor hatte zwei Zügel in der Hand, die er fleißig brauchte: das Wort Gottes und das Gebet. Je mehr seine eigenen Hände und Füße erlahmten, desto mehr nahm er seine Zuflucht zum Gebet. Und es blieb ihm seine große Liebe, dazu braucht man weder Hände noch Füße, noch Augen. Weil er selbst im Umgang mit seinem Heiland so viel Liebe einnahm, hatte er auch so viel Liebe auszugeben. Wie wird er sich nun drüben freuen, so manche Seele zu finden, denen er den Weg zum Leben hat zeigen dürfen.

Am Abend seines Lebens trafen ihn schwere innere Erlebnisse, die ihn noch mehr darnieder beugten, als die äußeren Schmerzen. Am Abend vor Weihnachten hatte er einen leichten Anfall, welcher sich in viel stärkerem Maß am 25. Februar wiederholte. Sprach- und Denkvermögen nahmen in letzterer Zeit merklich ab. Das Schmerzlichste war ihm die Wahrnehmung, daß er nicht mehr zusammenhängend beten konnte; doch sagte er zum Heiland: "Wenn Du mir auch das nehmen willst, so bin ich doch zufrieden, wie Du es machst!" Als ihn sein ältester Sohn kurz vor seinem Ende fragte: "Kannst du dich, Vater, auch noch der Gemeinschaft deines Heilandes freuen?" antwortete er: "Ach ja, das wäre traurig, wenn ich das nicht könnte." — Als wir den Tod herannahen sahen, sagten wir ihm die Worte: "Wenn ich einmal soll scheiden, so scheide nicht von mir," und als wir das letzte Wort sprachen: "Wer so stirbt, der stirbt," that er den letzten Athmenzug. —


Es war ein ergreifender Augenblick, als die Schaar der Freunde von Basel in Beuggen anlangte und im Hof den mit Blumen bekränzten Sarg mit der sterblichen Hülle des theuren Entschlafenen, umgeben von der trauernden Wittwe, den eigenen Kindern und Verwandten, nebst der großen Anstalts-Familie, stehen sah. Die letzten Worte des Gesangs der Kinder lauteten: "Wer so stirbt, der stirbt wohl." Und nun war er gekommen, der so wehmüthige und so feierliche Moment, da der Zug sich in Bewegung setzte, da es auch hieß: "seine Stätte kennt er nicht mehr". Wie oft hatte der Selige hier vor dem Haus den Spielen der Kinder zugeschaut und sich wie ein Kind mit ihnen gefreut. Jetzt trugen die Zöglinge den lieber Inspektor und Hausvater zu seiner letzten Ruhestätte; die Anstaltskinder, mit Kreuzen von Lilien und weißen Rosen und Kränzen, gingen hinter dem Sarge her. Ihnen folgten die Verwandten und Freunde nach dem etwas am Hügel gelegenen Friedhof. Hier betete der älteste Sohn des Vollendeten und es folgte eine herzliche, treffliche Ansprache des Präsidenten des Komites, Pfarrer Lichtenhahn aus Basel:

"Wir kamen, liebe Beuggener Familie, dies Mal nicht wie sonst um diese Zeit, mit freudigem Herzen, mit euch Jahresfest zu feiern, sondern um die irdischen Ueberreste eures geistlichen Vaters in den Schooß der Erde zu legen. Im Herzen können wir nicht anders als dem Herrn danken, daß er bei ihm ein gnädiges Ende der 27jährigen Leiden gemacht hat. Wer es durch eigene Anschauung gekannt, weiß was das sagen will und freut sich mit dem Heimgegangenen, daß er nun sagen darf: "Ich habe einen guten Kampf gekämpft, ich habe den Lauf vollendet, ich habe Glauben gehalten, hinfort ist mir beigelegt die Krone der Gerechtigkeit."

Wenn ich im Namen des Komites und der Freunde noch ein Wort über den Heimgegangenen sage, so darf es — nach seinem eigenen Sinn — kein Wort des Menschenlobes sein. Es bedarf es auch nicht; ist doch sein Name mit unverwüstlichem Griffel in die Herzen von Hunderten, die ihn lieb haben, eingeschrieben. "Nur aus Gottes Gnade bin ich was ich bin," das war der Ausdruck seines Wesens und Lebens. Man durfte bei ihm wirklich sehen, wie: ob auch der äußere Mensch sich von Tag zu Tag mehr verzehrte, der inwendige doch von Tag zu Tag sich erneuerte, also daß das Bild des göttlichen Meisters im zerbrochenen und zerschlagenen Körper immer reiner zum Vorschein kam.

"Gedenket an eure Lehreer, die euch das Wort Gottes gesagt haben; welcher Ende schauet an und folget ihrem Glauben nach," so ruft uns die Schrift an dieser Stätte zu. Ja, was war er für ein treuer Lehrer für euch, liebe Kinder! Wenn auch gefesselt an seinem Leidensstuhl, wie gerne und freudig ist er immer unter euch gewesen, und wenn Eines oder das Andere an seinem Geburtstag zu ihm kam, wie hat er so leutselig und doch ernst ihm an's Herz geredet! Und was haben auch die Lehrzöglinge und die früheren Beuggener Zöglinge von diesem Lehrer, der ihnen Gottes Wort unvergeßlich in's Herz prägte, gehabt! Ja, alle ihr Gäste und Freunde der Anstalt, ihr müsset ihm Alle das Zeugniß geben, daß ihr in ihm einen Mann gesehen, in dem das Wort Gottes eine Gestalt gewonnen hatte.

So nehmet denn sein theures Bild mit euch heim, gedenket seiner und schauet sein Ende an. Und welch ein Ende! Ein 27 Jahre lang andauerndes Sterben, und doch welch eine Kraft, welch ein Trost in der Erde Noth und Jammer. Da hat sich eine Gotteskraft geoffenbart, die auch einen armen Geschlagenen hat fröhlich machen können. Ja, das Christenthum ist etwas, das uns glücklich und selig macht. In Jesu Armen aus dieser Welt scheiden können, das ist ein schönes Ende.

Und nun senken wir die sterblichen Hülle unsers Bruders hinein in die stille Gruft, in der gewissen Zuversicht, daß dies Verwesliche wird anziehen das Unverwesliche und dies Sterbliche wird anziehen die Unsterblichkeit. Dann wird erfüllt werden das Wort, das geschrieben steht: Der Tod ist verschlungen in den Sieg. Tod, wo ist dein Stachel, Hölle, wo ist dein Sieg? Gott aber sei Dank, der uns den Sieg gegeben hat durch unsern Herrn Jesum Christum.

(Christl. Volksbote.)


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Nebst der Mittheilung des jüngst heimgegangenen Missions-Gehülfen A. E. Sudermann, bringt diese Nummer auch den Heimgang des Inspektors Reinhard Zeller von Beuggen, da die in großem Segen stehende Beuggener Lehranstalt manchen von unsern Lesern wohl bekannt ist und einige unserer Brüder da ausgebildet wurden.